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"Weidää!
Deutschsein war gar nicht so schwer. Zumindest bei der Grenzkontrolle irgendwann in den Neunzigern zwischen Österreich und Bayern hielt mein Vater aus seinem offenen Wagenfester dem deutschen Grenzbeamten unsere bordeauxroten, deutschen Pässe entgegen. Dieser, mit einem Schnauzer und einer Tasse Kaffee bewaffnet, schaute von der Ferne hinüber und rief einfach: „Weidää!“
Das war die Rückkehr in unser Deutschland.
Um uns die Langeweile auf der Autobahn zu vertreiben, bombardierten mein Bruder und ich unsere sichtlich genervten Eltern mit allerlei Fragen, um lustige und peinliche Geschichten aus ihrer Kindheit zu hören. Mein Vater, ermüdet und ermattet von der abenteuerlichen Fahrt durch halb Europa, legte los:
„Anfang der Siebziger kam ich nach Deutschland, das war 1971. Deine Tante und ich hörten alles, was Ilja Richter in die Hitparaden brachte: The Sweet, T-Rex, Bay City Rollers. Ich hatte sehr gute Freunde damals. Verrückte Freunde. Kawasaki-Mustafa zum Beispiel. Ein Motorradfreak, der sich bei Unfällen alle Knochen gebrochen hat. Oder Ahmed, den wir „den Armenier“ nannten. Einmal schmiss eine Gruppe deutscher Jugendlicher ihn in den Kanal, weil er sich bei ihnen eine Zigarette erschnorren wollte. Einige sind in die Türkei zurückgekehrt. Wusstet ihr, dass die Deutschen nicht wussten, was sie mit Auberginen anfangen sollten? Sie warfen sie den Schweinen zum Fraß vor, wirklich! Einfach so. Ja, und wir kochten Imambayıldı damit.“
„Die Deutschen haben keine Esskultur“ sagt meine Mutter.
„Wir wussten ja auch nichts!“ antwortete mein Vater.
„Als meine Freunde neu in Deutschland waren kauften sie sich reihenweise billiges Hundefutter in Dosen und aßen es, weil sie dachten, es sei Konservennahrung.“
Jetzt wurde meine Mutter redseliger:
„Als ich das erste Mal in einem Tante-Emma-Laden war, wollte ich Eier kaufen, konnte aber kein Wort Deutsch. Ich sagte nur: Gidgidgidaaaaak!
„Papa, ist Deutschland besser oder die Türkei?“ fragte ich.
„Wir können uns da nicht entscheiden. Das Essen, das Klima, die Gastfreundschaft, das soziale Leben sind in der Türkei was Besonderes. In Deutschland die Arbeitsrechte, die Disziplin, das zukunftsorientierte Denken…wir können uns von beiden Kulturen bedienen. Wer schlau ist, pickt sich aus den beiden Ländern das Beste heraus. Das ist das gute an dem Deutsch-Türkisch sein. Das schlechte ist, das wir immer zwischen den Stühlen stehen. Das ist sehr anstrengend.“
„Und deine erste Freundin in Deutschland?“
„War eine Amerikanerin. Sie hieß Susanne. Mit ihr bin ich mit einem Interrail-Ticket durch Europa gefahren.“
Meine Mutter fing an zu lachen.
„Euer Vater hatte damals keinen Geschmack!“
Mein Vater wurde ernster.
„Sie wollte mich mit nach Amerika nehmen. Hätten uns unsere Eltern nicht verheiratet, hätte ich es getan.“
Wir alle schwiegen. Nach einer Weile dreht meine Mutter die Lautstärke des Autoradios auf."
"Der Geruch von frischen Tomaten, der Geschmack von sonnengewärmten Feigen, die ich mir frisch vom Baum pflücke. Das vermisse ich."
"Dass dort alles irgendwie leichter genommen wird, hmm selbst gemachtem Käse auf dem Balkon meiner Oma.
Die Spontanität der Menschen."
"Vom Bäcker noch heißes Brot kaufen und die oberste Ecke abnaschen bis ich zu Hause angekommen bin."
„Die Weite und die Geschichten der Berge."
„Den Geruch von Fisch, wenn du am Meer entlangläufst, der feine Sand deine Füße kitzelt und der Ruf einer Simit und Mais Verkäufer, die immer frische Ware haben.“
„Das Leben nach dem Feierabend. Alle sind da, Jung wie alt und schlendern durch die Gassen.“
„Im Cay Bahce den ganzen Abend verbringen, Tee trinken und die Seele baumeln lassen, Freunde treffen.“
„Midiye, Ciger, Kokorec, Maulbeeren und die Veranda meiner Tante, die ein Tablet voll mit selbst gemachtem Salca, also Tomaten- oder Paprikamark von der Sonne trocknen lässt.“
„Ich führe sie hin, Schritt für Schritt,
zu den Tänzen, der Musik, der Kunst,
damit sie spüren, was uns verbindet.
Denn Folklore ist mehr als Tanz und Klang,
es ist der Ursprung, der uns hält.
Es lehrt uns Stärke, Mut und Stand.
Aufgewachsen zwischen Panzern und Trümmern
war der Tanz mein Halt, gab mir Mut.
Auf der Straße sah ich sie tanzen in Freude und Kraft,
und mein Traum wuchs, es ihnen gleich zu tun.
Es schmerzt, wenn das Interesse schwankt,
wenn Motivation verloren geht.
Doch ich gebe nicht auf, ich hoffe weiter,
damit auch die nächste Generation versteht.
Denn in jedem Tanz, in jeder Note,
lebt unsere Geschichte.
Das ist unser Erbe, das uns das Leben und die Freiheit schenkt.“
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