Schrei nach Liebe.

Leyla - Lieder und Geschichten von uns

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[Schrei nach Liebe von den Ärzten]

Du kannst doch keine Türkin sein, dafür siehst du viel zu modern aus.
Ich muss besser Deutsch können als alle anderen Kinder; weder zuhause noch draußen werde ich akzeptiert, wie ich bin.
ich bin falsch, überall; Das angepasste Mädchen ist meine Lebensrolle.
Ich strenge mich so an und trotzdem bin ich für manche Menschen lebensunwürdig.

[…]

„1993. Der Satellit überträgt Bilder aus der türkischen Provinz, Sivas in unser Wohnzimmer. Es brennt ein Hotel in dem Dichter, Künstler und Musiker gefangen sind. Später wird man sie identifizieren. Das jüngste Opfer war 22 Jahre alt. Mein Großvater schaltet in der Menüleiste um auf Kabel und wir sehen ein ausgebranntes Haus in Solingen. Das jüngste Opfer: 5 Jahre alt. Der Täter: 16 Jahre. Meine Tante versucht es meiner Oma zu erklären. Obwohl sie Analphabetin ist und kein Wort Deutsch spricht, versteht sie merkwürdigerweise Sätze wie „Türken raus“, „Ausländer raus“, oder „Deutschland den Deutschen“. Sie weiss, dass diese Dinge Unheil verkünden. Sie lernt durch Zuhören alles auswendig, sowie die arabischen Koransuren, die sie jeden Tag hinunterbetet. „So ein Unglück!“ klagt mein Großvater. „Als wir in den Sechzigern nach Deutschland kamen, hörten wir im

Radio immer Köln Radyosu, ein türkisches Kulturprogramm des Westdeutschen Rundfunks. Das war für 30 Minuten ein Stück Heimat. Alles auf Türkisch. Ich sage dir, wir hatten keine Probleme mit den Deutschen. Sie haben uns mit offenen Armen empfangen damals, waren sehr höflich und freundlich. Und jetzt das!“ 1993 war ich neun Jahre alt und wusste von den Kindern aus meiner Nachbarschaft, dass man nicht die rechte Hand hochheben darf. Und dann dieses Symbol mit spitzen Haken. Es tauchte eines Tages auf der Häuserwand vor unserem Spielplatz auf. Später kamen Sätze hinzu: „Türken raus“, „Scheiss Polaken“. In der Schule schwärmte mein Klassenkamerad Patrick von Musikgruppen wie „Böhse Onkelz“ und „Störkraft“. Dann kam „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten. Das war das Statement. Von Deutschen für Deutsche. Ich liebe diesen Song. Das nächste Mal in der Schule wurde die erste Zeile dieses Liedes meine Antwort an Patrick: „Du bist wirklich saudumm…“

 

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